CSR bedeutet nicht ausschließlich, Geld zu akquirieren

CSR – drei magische Buchstaben, die bei vielen Fundraisern Bilder vom großen Geld hervorrufen. Aber ist die unternehmerische Gesellschaftsverantwortung, denn nichts anderes besagen die drei Buchstaben, wirklich immer mit dem großen Geldsegen verbunden? Und hat der seit 2017 verbindliche Nachhaltigkeitsbericht für Unternehmen ab 500 Mitarbeitern auch Auswirkungen auf kleinere und mittlere Betriebe? Zusammen mit Hugo Pettendrup, Experte für Corporate Social Responsibility (CSR), geht Claudia Wohlert diesen Fragen nach.

 

Fundraising-Echo: Im Jahr 2013 startete SOS-Kinderdorf in Belgien eine ungewöhnliche und provokative Print-Kampagne im führenden Wirtschaftsmagazin. Sie richtete sich namentlich an die Führungskräfte bedeutender Unternehmen mit dem Slogan: You are the 99 %, in Anlehnung an die Occupy-Wall-Street-Demonstrationen. Den Wirtschaftbossen wurde zudem bescheinigt, dass sie das Herz am rechten Fleck und Visionen hätten. Mit dem Energieunternehmen Electrabel entstand daraufhin eine erfolgreiche Zusammenarbeit. Würde das auch in Deutschland funktionieren?

 

Hugo Pettendrup: Ich kenne die Kampagne nicht, glaube aber, dass es auch hier funktioniert. Deutschland ist gegenüber Belgien im Fundraising nicht extrem anders aufgestellt. Vielleicht sind wir etwas vorsichtiger in der Ansprache. Aber mit dem Thema Vision und Herz sowie ‚Ihr seid die 99 Prozent‛ könnte die Kampagne auch in Deutschland erfolgreich sein, vor allem weil es eine große Organisation war. Bei einer kleineren wäre ich skeptisch.

 

Fundraising-Echo: Es gibt gemeinnützige Organisationen, die noch nie mit einem Unternehmen zusammengearbeitet haben, dies aber anstreben. Wie erkennt die NPO, welche Unternehmen geeignet sind?

 

Hugo Pettendrup: Zunächst einmal ist wichtig, den Begriff CSR zu definieren. Oft verstehen die Beteiligten, Unternehmen und gemeinnützige Organisationen, etwas ganz anderes darunter. CSR kann nur vom Unternehmen ausgehen. Es übernimmt gesamtgesellschaftliche Verantwortung mit dem Anspruch, sein Kerngeschäft umweltverträglich, ethisch und sozial sowie zugleich ökonomisch erfolgreich auszurichten. Insgesamt so nachhaltig wie möglich zu wirtschaften. Spricht eine Organisation von CSR, so will sie oftmals eine Unternehmenskooperation auf der Grundlage von Spenden und Sponsoring betreiben. Das ist aus meiner Sicht das große Missverständnis.

 

Wenn eine gemeinnützige Organisation eine Unternehmenskooperation eingehen will, so stellt sich zu allererst die Frage: Was wollen wir mit dem Unternehmen machen? Fragen nach den Zielen und dem Bedarf sind existenziell. Doch das passiert oft gerade nicht. Vielmehr wird gleich losgelegt, denn Unternehmen sind ja potenzialträchtig. Die meisten Organisationen wollen Geld. Fragt man wie viel: So viel wie möglich. Und das funktioniert nicht. Wenn der Mittelbedarf und der vom Unternehmen zu leistende Beitrag nicht exakt feststehen, lassen sich die Unternehmen nicht darauf ein. Außerdem wollen sie nicht nur Geldgeber sein, sondern auch mitgestalten. Das wird oftmals verkannt.

 

Weiterhin muss festgestellt werden, welches Budget für die Maßnahme vorhanden ist? Ein Förderverein einer Kindertagesstätte kann keine großartigen Kampagnen entwickeln. Kleine NPOs sollten zuerst analysieren, wen sie im Netzwerk haben. Gerade in ehrenamtlichen Strukturen gibt es oft hervorragende Netzwerke. Ich nenne das nicht Brainstorming, sondern immer Namestorming. Man überlegt genau: Wer kennt wen? Wo hat wer eventuell welche Kontakte? Das wäre bereits der Zugang zu einem Unternehmen.

 

Fundraising-Echo: Wie erarbeite ich die richtige Strategie für geeignete Unternehmenskooperationen?

 

Hugo Pettendrup: Die strategische Komponente, wer passt zu uns, ist sehr wichtig. Die Nähe zum Kerngeschäft des Unternehmens muss beachtet werden. Bei einer Schule, die die Ausstattung für die Sporthalle benötigt, bieten sich Sportunternehmen an. Wahllos Unternehmen zu akquirieren ist nicht sinnführend. Außerdem stellt sich die Frage nach der geografischen Komponente: Gibt es Unternehmen in der Nähe, die uns unterstützen könnten? Des Weiteren: Welche Zielgruppe haben wir, die das Unternehmen nicht hat? Können wir dadurch interessant für das Unternehmen sein? Aber auch: Wo existieren gemeinsame Zielgruppen, die erarbeitet werden wollen. Welche Branche kommt in Frage? Die Fragen, mit welcher Strategie gehen wir los und wie müssen wir uns dafür aufstellen, sind unerlässlich.

 

Fundraising-Echo: Wie sieht bestenfalls die Kommunikation zum Unternehmen aus?

 

Hugo Pettendrup: Ein Konzern will es professionell: alles digital und ohne großartigen Zeitaufwand. Bei mittelständischen beziehungsweise kleinen Unternehmen ist die persönliche Ebene ganz wichtig. Aber letztlich gibt es kein Patentrezept. Entscheidend ist, dass man authentisch bleibt. Jeder sollte sich die Fragen stellen: Bin ich derjenige, der den Hörer in die Hand nimmt beziehungsweise direkt hinfährt? Oder schreibe ich lieber erst einen Brief respektive eine E-Mail? Die Grundfragen lauten immer: Was passt zu mir und meiner Organisation? Und natürlich muss ich mich beim Unternehmen erkundigen, wie sie es gern hätten. In der Regel haben die klare Vorstellungen davon, wie die Kontaktaufnahme erfolgen soll.

 

Fundraising-Echo: Sollten Unternehmen Mailings beziehungsweise Förderermagazine erhalten?

 

Hugo Pettendrup: Bei Kaltmailings wäre ich vorsichtig. Ich erlebe immer wieder Unternehmer, die sagen: Ich bekomme irgendwelche Anschreiben, die ich nicht zuordnen kann. Deshalb würde ich definitiv davon abraten, Mailings im großen Stil herauszuschicken. Unternehmenskooperationen sind kein Massengeschäft, sondern ein sehr individuelles. Eine NPO erreicht nichts, wenn sie 10.000 Unternehmeradressen kauft und Mailings losschickt. Die wandern bei den Unternehmen direkt in den Papierkorb. Ein Förderermagazin beziehungsweise eine Zeitschrift für Unternehmen finde ich sehr positiv, auch wenn es vielleicht nicht in jeder Organisation realisierbar ist.

 

Generell kann man sagen, dass der Fundraiser zuerst mit dem Beziehungsaufbau starten muss. Es sollte eine Form von Kontakt bereits hergestellt sein. Eventuell hat man den Geschäftsführer auf einer Veranstaltung getroffen oder in der Presse etwas über ihn gelesen. Kalt mit einem Thema um die Ecke zu kommen, halte ich nicht für gut.
Fundraising-Echo: Wie sucht der Fundraiser die richtigen Projekte für Unternehmenskooperationen heraus?

 

Hugo Pettendrup: Indem er die Unternehmen fragt. Die gemeinnützigen Organisationen machen sich viele Gedanken darüber, was kann das richtige Projekt fürs Unternehmen sein. Aber niemand fragt die Unternehmen. Für mich steht der Unternehmensdialog an erster Stelle. Man sollte sich gemeinsam hinsetzen und nach den Wünschen der Unternehmen fragen. Ich höre immer wieder von Unternehmerseite, dass sie nicht gefragt werden. Die Organisationen kommen mit kompletten Konzepten und wollen, dass das Unternehmen nur noch Ja zu Projekt A oder B beziehungsweise C sagt. Die NPOs haben vorher aber nicht gefragt, was sich die Unternehmen vorstellen.

 

Strategisch ist es besser, sich zum Beispiel Produktionsstätten des Unternehmens anzusehen. Es gibt Betriebe, die haben Exportländer wie Nigeria. Dann ist es sinnvoll, Projekte an diesem Standort fürs Unternehmen herauszusuchen. Oder zum Beispiel eine Brauerei, die einen großen Wasserverbrauch hat. Da wären Projekte zum Thema Wasserschutz interessant. Der Fundraiser muss sich das Unternehmen genau ansehen und durch Gespräche herausfinden, was für die interessant sein könnte. Ob eine bestimmte Region oder neue Zielmärkte, es gibt ganz unterschiedliche Vorgehensweisen.

 

Fundraising-Echo: Erkennt der Fundraiser in einem Spendengespräch, dass das Unternehmen eigentlich mehr Geld geben wollte, als die Summe, nach der er gefragt hat. Wie verhält er sich dann?

 

Hugo Pettendrup: Bescheiden. Ich erlebe diese Situation immer wieder. Die Organisation muss aber stringent sein. Man kann nicht in einem Gesprächsverlauf plötzlich sein Ziel verändern. Nach dem Motto: Ich brauche jetzt nicht mehr 50.000, sondern 150.000 Euro. Und das Ganze nur, weil der Fundraiser im Gespräch erkennt, dass der Unternehmer mit einem höheren Betrag gerechnet hat beziehungsweise er heute gut gelaunt ist. Das kommt wie ein Bumerang zurück. Deshalb ist es wichtig, immer ganz klar bei seiner Zielsetzung zu bleiben. Zu jedem Zeitpunkt muss die NPO sagen können, dieses Projekt wollen wir so und so umsetzen und dafür brauchen wir 50.000 Euro. Das ist wie der Businessplan eines Unternehmens. Da können entsprechend der Tagesform nicht plötzlich neue Zahlen hineingeschrieben werden. Unternehmenskooperationen sind kein Wunschkonzert und haben nichts mit einem Bauchladen zu tun. Die Organisation muss wissen, was sie will, sonst wird sie nicht ernst genommen.

 

Fundraising-Echo: Wie viel Mitspracherecht sollte man Unternehmen, die große Beträge spenden, innerhalb einer Organisation einräumen?

 

Hugo Pettendrup: Wenig. Es besteht die große Gefahr der Abhängigkeit. Wenn ich Unternehmen aber als Partner verstehe und dort eine Partnerschaft sowie eine Kooperation suche, dann passieren solche Dinge nicht. Wichtig ist, dass das Unternehmen von vornherein eingebunden und informiert wird und die Organisation transparent ist. Es soll nie der Eindruck entstehen, dass das Unternehmen nicht erwünscht ist. Zugleich muss die NPO aber gegenüber den anderen Spendern zeigen, dass sie als Organisation unabhängig ist. Die NPO sollte niemals ihren Auftrag aus den Augen verlieren und bestimmte Dinge tun, nur weil das Unternehmen das große Geld gibt. Das Unternehmen soll Impulse geben, es kann partnerschaftlich zur Seite stehen. Das Thema, gleiche Augenhöhe und selbstbewusst gegenüber dem Unternehmer auftreten, ist ganz wichtig.

 

Fundraising-Echo: Wird die Zusammenarbeit von Unternehmen mit gemeinnützigen Organisationen in der Zukunft zunehmen?

 

Hugo Pettendrup: Ja. Ich sehe viel Potenzial nach oben, was auch Studien belegen. Das Instrument Unternehmenskooperation hat sehr viel Wachstumspotenzial, aber nur dann, wenn das Unternehmen nicht ausschließlich als Finanzier angesehen wird, sondern die NPO es als Partner wahrnimmt. Stichwort Corporate Volunteering, das freiwillige Engagement von Mitarbeitern.  Die Unternehmens-Beschäftigten wollen eingebunden werden. Beide Parteien sollten überlegen, wie sie etwas gemeinsam verwirklichen können. Die NPOs müssen weg von dem Gedanken, bei Unternehmen ausschließlich Geld zu akquirieren.

Ein weiterer Punkt sind die verschiedenen Geschäftsbereiche eines Unternehmens, von der Vertriebs-, über die Marketing- bis hin zur IT-Abteilung. Wie kann die NPO diese Bereiche für sich nutzen? Es muss gar kein Geld fließen. Die Unterstützung beim Internetauftritt oder bei der neuen Kampagne kann genauso hilfreich sein. In diesem Bereich gibt es ein großes Wachstum. Natürlich kann auch mal Geld fließen.

 

Es muss eine Veränderungsbereitschaft seitens der gemeinnützigen Organisationen geben. In der Praxis erlebe ich immer wieder, dass das schwierig ist. Geld ist gut, aber das Unternehmen will sich an dieser Stelle nicht nur als Finanzier sehen. Der seit 2017 verbindliche Nachhaltigkeitsbericht hat Bewegung in den Bereich CSR gebracht. Auch kleinere und mittelständische Unternehmen setzen sich intensiver mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinander. Ihnen wird bewusst, dass es gut ist, sich für die Gesellschaft zu engagieren und NPOs zu unterstützen. Viele von ihnen haben das in der Vergangenheit schon gemacht, aber jetzt wollen sie es zunehmend im Kontext ihrer eigenen unternehmerischen Verantwortung tun und das bedeutet einen anderen strategischen Ansatz.

 

Quelle: www.saz.com/de/csr-bedeutet-nicht-ausschliesslich-geld-zu-akquirieren