Mehrwert durch nachhaltige Entscheidungsfindung: CSR-Management heißt mit Komplexität umzugehen

Nachhaltigkeit wird inzwischen ganzheitlich verstanden, und je mehr dieses Verständnis Einzug in das CSR-Management von Unternehmen findet, desto mehr stehen die Verantwortlichen vor der Herausforderung, allen Anforderungen gerecht zu werden. Gesetzgeber und Kunden fordern diese Anforderungen zudem auch immer stärker ein, sodass Unternehmen zunehmend zu Getriebenen werden und dann oft nur noch reagieren. Mit der Komplexität von Nachhaltigkeit gekonnt umzugehen, eröffnet aber gerade die Chancen, die durch ein gutes CSR-Management möglich sind.

 

 

Während CSR-Management zuletzt hauptsächlich als ein Risk-Management-Ansatz verstanden wurde, also als Möglichkeit, potentielle Gefahren frühzeitig zu erkennen, liegt der große Mehrwert eigentlich sogar noch einen Schritt weiter: Es erlaubt, gestalterisch Einfluss zu nehmen, Innovationen voranzutreiben und positive Entwicklungen zu fördern. Dies ist allerdings nur möglich, wenn Nachhaltigkeit auch als komplexem Sachverhalt begegnet wird, und dieser nicht nur akzeptiert, sondern auch aktiv genutzt wird.

 

 

Was ist Komplexität?

Komplexität ist für sich genommen zunächst eine neutrale Systembeschreibung. Klassische Beispiele für komplexe Systeme sind Ökosysteme mit unterschiedlichen Organismen und Stoffkreisläufen, Gesellschaften bestehend aus verschiedenen Menschen(-gruppen), die in staatlichen Strukturen zusammenleben oder aber auch Unternehmen mit vielfältigen Einheiten zur Erreichung des gemeinsamen Unternehmenszwecks. Komplexe Systeme bestehen immer aus einer Vielzahl von Elementen, die allerdings nicht losgelöst voneinander betrachtet werden können. Sie beeinflussen sich gegenseitig. Zudem sind weder die einzelnen Elemente noch deren Wechselwirkungen statisch, sondern unterliegen ständiger Veränderung hinsichtlich der Zusammensetzung sowie der Qualität der Elemente und Beziehungen. Meist sind außerdem weder alle Elemente noch alle Wechselwirkungen überhaupt bekannt. Zusammengefasst sind die Merkmale eines komplexen Systems also eine hohe Anzahl von Elementen, viele Wechselwirkungen, eine hohe Dynamik und begrenzte Transparenz. Komplexität nimmt in unserer Welt allein dadurch zu, dass die globalen Aktivitäten des Menschen wie auch der Unternehmen zunehmen. Bei der Betrachtung einer Lieferkette zeigt sich beispielsweise eine Verdichtung der Vernetzung von Prozessen, Akteuren und Einflussfaktoren, zugleich steigt damit auch die Gefahr von Fehlentscheidungen. Ein komplexes System aber bis ins letzte Detail verstehen zu wollen, bevor Entscheidungen getroffen werden, ist gar nicht möglich und daher in der Regel nicht zielführend. Vielmehr bedarf es der richtigen Auswahl der Betrachtungsebene. Konkret bedeutet dies aber nicht, nur Teilbereiche eines Systems zu berücksichtigen. Komplexität kann nicht durch Begrenzung Rechnung getragen werden, da auf diese Weise der Blick auf das Gesamtsystem, und damit auch auf wichtige Verknüpfungen, verloren geht. Sich bei einer Lieferkette z.B. nur auf die Produktion zu fokussieren, hat zur Folge, dass wichtige Einflussfaktoren, etwa die Logistik, missachtet werden. Was notwendig ist, ist das Verständnis über ein System als Ganzes und wie es sich verhält. Nur mit Hilfe solch eines Systemverständnisses ist es möglich, durch geeignete Maßnahmen systemische Veränderungen zu bewirken.

 

 

Nachhaltigkeit ist komplex

Mit den oben genannten Kennzeichen wird schnell klar, dass Nachhaltigkeit ein komplexes Thema ist. Die CSR-Definition der Europäischen Union basiert auf dem Verständnis, dass nicht die einzelnen Aspekte im Mittelpunkt stehen, sondern das Gleichgewicht von Ökologie, Ökonomie und Sozialem. Jeder dieser drei Bereiche besteht aus unzähligen Elementen: Emissionen, Wasserverbrauch, Biodiversität, Arbeitsbedingungen, Gleichberechtigung, Bildung, Unternehmensgewinne, Compliance, Innovationen – um nur einige zu nennen. Dass zwischen all diesen Bereichen Verknüpfungen bestehen, kann zum Beispiel dann festgestellt werden, wenn eine Diskussion über Arbeitsbedingungen beim Thema Luftverschmutzung endet. Die am häufigsten gebrauchte Definition von Nachhaltigkeit gibt der Brundtland-Report der Vereinten Nationen von 1987. In diesem heißt es sinngemäß, dass zukünftige Generationen nicht schlechter gestellt sein dürfen als die derzeitig lebenden. Damit erhält Nachhaltigkeit eine zeitliche Komponente. Die Frage ist also nicht nur, wie Nachhaltigkeit und die einzelnen Elemente momentan verwirklicht sind, sondern auch, wie sie sich in der Zukunft entwickeln werden. Hierbei spielen externe Einwirkungen (wie z.B.  neue Technologien) eine ebenso wichtige Rolle wie auch nicht beeinflussbare Veränderungen innerhalb von Elementen. Zum Beispiel werden ab einer Erwärmung der Erde um zwei Grad sogenannte Kipp-Elemente in Gang gesetzt, die den Klimawandel automatisieren. Das Tempo solcher Dynamiken hat zuletzt immer stärker zugenommen, und damit auch die Komplexität unserer modernen Welt. Darüber hinaus ist menschliches Verhalten wie auch das der Natur kaum vorherzusagen, und auch diese Intransparenz beeinflusst eine nachhaltige Entwicklung.

 

 

Der Komplexität von Nachhaltigkeit begegnen

Um komplexe Systeme zu verändern, kann es aufgrund der Merkmale von Komplexität keine einfachen Lösungen geben. Um erfolgreich mit Komplexität umzugehen, muss ihr mit komplexen Antworten begegnet werden. In der bisher meist linearen Herangehensweise werden vor allem Einzelelemente betrachtet, in der Hoffnung, dass eine Verbesserung dieser Einzelelemente genügt. Für diese werden dann fleißig Daten gesammelt und Maßnahmen entwickelt, ohne das Zusammenspiel der Elemente zu erfassen. Komplexe Systeme sind jedoch mehr als die Summe ihrer einzelnen Elemente und es ist unmöglich, einzelne Bereiche getrennt zu entwickeln. Aufgrund dieser Diversität werden komplexe Systeme aber auch allgemein als robuster bewertet. Nachhaltigkeitsstrategien, und somit auch ein erfolgreiches CSR-Management, sollten genau dies berücksichtigen.

 

Die 2015 von den Vereinten Nationen ins Leben gerufenen Sustainable Development Goals (SDGs) bieten solch eine notwendigerweise komplexe Antwort auf die Frage nach dem richtigen Umgang mit der Komplexität von Nachhaltigkeit: Die insgesamt 17 Ziele reichen von Gleichberechtigung über Umweltschutz bis hin zu Wirtschaftswachstum, und decken so ein breites Feld ab. Im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung werden sie gleichwertig behandelt. Es geht also nicht darum, sich einzelne Ziele auszusuchen und diese zu fördern, sondern immer das Gesamtzielsystem im Auge zu behalten. Darüber hinaus gilt es, die Wechselwirkungen zwischen den Zielen zu beachten. Insbesondere darf kein Ziel auf Kosten eines anderen erreicht werden. Mit jedem Ziel ist zudem eine Vielzahl von Stakeholdern verbunden, die zur Zielerreichung berücksichtigt werden müssen. Auch die Betrachtungsebene ändert sich abhängig von der organisatorischen Einheit, d.h. ob ein Land, eine Kommune oder auch ein Unternehmen die SDG-Zielerreichung fördern möchte. Die SDGs werden diesem Umstand durch Unterziele gerecht, bei denen mehr Freiheit hinsichtlich der Ausgestaltung besteht, ohne die 17 Ziele und ihre Gleichrangigkeit in Frage zu stellen. Die SDGs bieten einen einheitlichen Rahmen, ohne die individuellen Unterschiede zu negieren, und sind damit ein hervorragendes Zielsystem für jegliche Nachhaltigkeitsaktivitäten. Sie ermöglichen Akteuren im Rahmen ihrer Kernkompetenzen etwas Wesentliches zu den Zielen beizutragen, und somit zum Teil der Lösung zu werden. Es geht darum, mit den richtigen Entscheidungen heute die Zukunft der Welt, aber auch von einzelnen Staaten, Kommunen und Unternehmen zu gestalten. Daher sollte die zentrale Fragestellung bei einem modernen CSR-Management sein, wie solch wichtige Entscheidungen im Sinne der Komplexität von Nachhaltigkeit getroffen werden können und so auch die eigene Zukunft gestaltet wird.

 

 

Systemdenken als Management-Kompetenz der Zukunft

Unter Systemdenken wird genau diese notwendige Fähigkeit verstanden, die wesentlichen Zusammenhänge nicht aus dem Auge zu verlieren und trotzdem eine geeignete Betrachtungsebene in Systemen zu finden. Systemdenken ermöglicht, Systeme überhaupt zu erfassen, das Systemverhalten zu beschreiben und so die Realität ganzheitlich zu betrachten sowie darüber zu kommunizieren. Von unserer Wahrnehmung der Welt hängen auch unsere Handlungsentscheidungen ab. Deswegen ist es besonders wichtig, vernetzt zu denken und das Wissen und die Erfahrungen möglichst vieler Interessengruppen miteinzubeziehen. So können individuelle Lösungen erreicht und diese an geeigneter Stelle im System implementiert werden. Standardlösungen sind nicht zielführend, weil sie dem komplexen Systemcharakter nicht gerecht werden. Ein wichtiger Bestandteil des Systemdenkens als Managementmethode ist daher auch das Denken in Prozessen statt in Ergebnissen. Ein Mehrwert entsteht bereits dadurch, dass so auch auf dynamische Entwicklungen reagiert werden kann. Hierfür bedarf es aber eines Umdenkens in den Unternehmen und besonders bei Entscheidern.

 

 

Eine Komplexitätskultur für  Nachhaltigkeit

Der Begriff der Komplexitätskultur wurde ursprünglich unabhängig vom Nachhaltigkeits-Kontext geprägt. Eine Anwendung ist aber aufgrund des komplexen Charakters der Nachhaltigkeit durchaus sinnvoll. Die Komplexitätskultur für Nachhaltigkeit (siehe Abbildung) ermöglicht und fördert einen besseren Umgang mit der Komplexität von Nachhaltigkeit. Sich schnell an die beschriebenen vernetzten und dynamischen Anforderungen von Nachhaltigkeit anpassen zu können, ist eine wichtige Voraussetzung für Unternehmen, um langfristig wettbewerbsfähig zu sein. CSR-Management bedeutet also nicht nur, zu Entscheidungen im Sinne der Nachhaltigkeit zu kommen, sondern auch, eine passende Unternehmenskultur zu prägen, die auf den miteinander vernetzten Prinzipien “Nachhaltigkeit leben”, “Nachhaltigkeitsvorreiter”, “Intelligenz der Vielen” und “Lernende Organisation” basiert. Unter diesen ist folgendes zu verstehen:

 

Damit Nachhaltigkeit von allen gelebt und bei Entscheidungen berücksichtigt werden kann, müssen Führungskräfte und Mitarbeiter zunächst verstehen, dass Nachhaltigkeit aus einer Vielzahl von ökologischen, sozialen und ökonomischen Faktoren besteht, welche sich auch gegenseitig beeinflussen. Erst durch dieses Verständnis kann der Nachhaltigkeitsgedanke zu einem festen Bestandteil der Unternehmenskultur werden. Um darüber hinaus die Chancen von Nachhaltigkeit verwirklichen zu können, ist es wichtig, dass Nachhaltigkeit in das Kerngeschäft integriert wird. Nur so können Unternehmen positiv zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen.

 

 

 

Voraussetzung für eine erfolgreiche Komplexitätskultur für Nachhaltigkeit in einem Unternehmen ist zudem, dass Führungskräfte die Chancen und Potenziale von Nachhaltigkeit für heutige und spätere Generationen erkennen und diese positive Einstellung auch an ihr Team vermitteln. So kann Nachhaltigkeit die Grundlage für geschäftsfördernde Innovationen und damit für Lösungen von gesellschaftlichen Herausforderungen werden. Gleichzeitig sollten aber auch die Rahmenbedingungen ein entsprechendes Handeln fördern. Es braucht treibende Kräfte, Anreizsysteme und weitere Unterstützung, um Nachhaltigkeit fest in den Köpfen zu verankern. Zudem fungiert die Führungskraft als Vorbild, die den Nachhaltigkeitsgedanken mit den dazugehörigen Werten auch selber lebt. Solch ein verantwortungsvolles Handeln braucht daher Führungspersönlichkeiten, die neben den bisher notwendigen Kompetenzen auch weitere Fähigkeiten mitbringen, wie zum Beispiel ein Gesellschaftsverständnis, den Willen zu Transparenz und Teilhabe an Stakeholder-Dialogen, die Fähigkeit, mit Dilemmata umzugehen, sowie die Offenheit zur Kollaboration (Co-Kreation) − auch mit Akteuren außerhalb der eigenen Organisation (vgl. auch Klaus Leisinger, Präsident der Stiftung „Globale Werte Allianz“).

 

Aufgrund der Komplexität von Nachhaltigkeit ist ein breit gefächerter Stakeholder-Dialog notwendig, der die verschiedenen Interessen, Einflussmöglichkeiten sowie Kompetenzen heutiger aber auch zukünftiger Generationen berücksichtigt. Auf diese Weise können wichtige Netzwerke entstehen, die nicht nur den Erfahrungsaustausch im Umgang mit Nachhaltigkeit fördern, sondern umfassendes Wissen generieren. Dies wird insbesondere aufgrund der Vielfalt der Akteure (Unternehmen jeder Größe, zivilgesellschaftliche Gruppen und Organisationen sowie Vertreter der Politik) ermöglicht. Die so entstandene „Intelligenz der Vielen“ schafft verschiedenste Partnerschaften über Unternehmensgrenzen hinweg, die Basis für innovative, kollaborative Lösungsansätze sein können.

 

Um das Potential von Nachhaltigkeit erfolgreich umzusetzen, braucht es eine individuell an die jeweilige Organisation angepasste Komplexitätskultur für Nachhaltigkeit. Im Sinne einer lernenden Organisation bedeutet dies, Ideen offen auszuprobieren, zunächst in Form von verschiedenen Projekten und Maßnahmen, später als integraler Bestandteil des Kerngeschäfts. Damit verbundene Misserfolge werden als Chance verstanden, um daraus zu lernen und auch die eigene Organisation mit dem dazugehörigen Geschäftsmodell vor diesem Hintergrund zu analysieren. Für eine gewinnbringende Vernetzung ist es aber auch wichtig, sich mit Partnern über eventuelle Fehlschläge auszutauschen und mit Stakeholdern transparent darüber zu kommunizieren. Netzwerke werden so zu Lernforen. Darüber hinaus sollte Nachhaltigkeit auch fest in der Weiterbildung für Mitarbeiter integriert sein. Damit können Unternehmen eine wichtige Unterstützung für eine von den Mitarbeitern gelebte Komplexitätskultur für Nachhaltigkeit geben, und Herausforderungen im Nachhaltigkeitskontext selbstbewusst angehen.

 

CSR-Management erfordert mehr denn je einen erfolgreichen Umgang mit Komplexität, denn Unternehmen, die zukünftig erfolgreich sein wollen, werden auf eine nachhaltige Entwicklung unserer immer komplexer werdenden Welt angewiesen sein. CSR-Management als Komplexitätsmanagement zu begreifen, ermöglicht es, unter Berücksichtigung der Nachhaltigkeit zu wichtigen und breit getragenen Entscheidungen zu kommen. Mit diesem Verständnis liefert CSR-Management nicht nur einen Mehrwert für die Unternehmen, sondern erfährt einen allgemeinen Bedeutungsgewinn.

 

 

Der Beitrag ist ein Auszug aus dem CSR-MAGAZIN Ausgabe 30.


Sarah Lechner ist Consultant bei der iCONDU GmbH.