Die Pläne waren ambitioniert: 2011 sollte das Jahr werden, in dem die deutschen Hochschulen in eine nachhaltige Stipendienkultur einsteigen. Denn es wurden die ersten Deutschland-Stipendien vergeben, die sich in gleicher Höhe aus staatlichen und privaten Finanzquellen speisen. 2011 sollten 10.000 Studenten von den neu eingeführten Deutschland-Stipendien profitieren. Derzeit sieht es aber danach aus, dass dieses Ziel gar nicht oder nur knapp erreicht wird.
Vor Einführung des neuen Stipendiums erhielten rund 2 Prozent der 2,2 Millionen Studenten ein Stipendium. Diesen Anteil will die Bundesregierung mit dem Deutschland-Stipendium deutlich erhöhen; 8 Prozent der Studierenden sollen in acht bis zehn Jahren von dieser Förderung, die an gute Leistungen gekoppelt ist, profitieren. Am Ende des ersten Jahres sieht es freilich danach aus, dass zumindest das Ziel für das erste Jahr, wenn überhaupt, nur knapp erreicht wird.
Schavan: Das Programm wird Fahrt aufnehmen
2011 sollten 0,45 Prozent oder knapp 10.000 Studenten ein Deutschland-Stipendium erhalten. Ob dies gelungen ist, weiß man erst im März, wenn neue Zahlen veröffentlicht werden. Daten aus dem September zeigen, dass vor Beginn des Wintersemesters drei Viertel der 388 Hochschulen in Deutschland das neue Förderinstrument genutzt hatten. Sie hatten Mittel für knapp 4800 Deutschland-Stipendien eingeworben – erst knapp die Hälfte des Möglichen. Zusammen mit dem NRW-Stipendium, einem Förderprogramm in Nordrhein-Westfalen, das Vorbild für das Deutschland-Stipendium ist, käme man schon auf eine Quote von 0,35 Prozent der Studenten. Doch läuft dieses Programm 2014 aus und ist in dem 0,45-Prozent-Ziel der Regierung nicht enthalten.
Alexander Tiefenbacher vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, einem Zusammenschluss von Unternehmen, Privatpersonen und Stiftungen zur Förderung von Bildung und Wissenschaft, hofft, dass das Ziel für 2011 „knapp“ erreicht wird. Es sei ambitioniert, sagt er. Das Bundesbildungministerium von Annette Schavan (CDU) ist zuversichtlicher. Die Zahlen vom September hätten innerhalb der Erwartungen gelegen, sagte eine Sprecherin. Das Programm sei gut angelaufen und werde nun Fahrt aufnehmen. Für 2012 hat die Regierung das Ziel ausgegeben, dass ein Prozent der Studenten ein Deutschland-Stipendium bekommen.
Stipendien als Standortvorteil
Das Ministerium erwartet viel von der neuen Förderung: Sie soll zu einem Mentalitätswechsel in der Hochschulfinanzierung führen. „Die Finanzierung der Hochschulausbildung ist nicht nur Aufgabe des Staates. Die Gesellschaft insgesamt muss mehr Verantwortung für die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses übernehmen“, erklärte die Sprecherin. Mit der Finanzierung eines Stipendiums könnten Alumni „etwas zurückgeben“ und die Wirtschaft könne sich an der Ausbildung des Nachwuchses beteiligen.
Die Hälfte der Summe für die Deutschland-Stipendien kommt vom Bund und die andere von privaten Förderern, vor allem von Unternehmen und Stiftungen. Weil das öffentliche Geld nur fließt, wenn die Hochschulen in gleicher Höhe private Mittel einwerben, besteht für die Hochschulen ein Anreiz, Strukturen für ein Fundraising aufzubauen. Für Tiefenbacher vom Stifterverband ist dies ein lohnendes Unterfangen: „Hochschulen, die sich gut mit ihrem regionalen Umfeld vernetzen, liegen im Wettbewerb um die besten Studenten vorne.“ Denn Studenten achteten bei der Wahl der Hochschule stark auf Fördermöglichkeiten.
Schwierige Suche nach Geldgebern
Als das Stipendium eingeführt wurde, stieß es in den Hochschulen auf viel Skepsis, vor allem dort, wo noch kein Fundraising betrieben wurde. Das waren oft Einrichtungen in strukturschwachen Gebieten. Nach Ansicht von Tiefenbacher ist es aber für alle Hochschulen möglich, genügend Mittel einzuwerben. „Wo eine Hochschule ist, gibt es auch ein gutes Umfeld“, sagt er. Von großem Vorteil sei, wenn die Leitungsebene mithelfe.
Auch an der Universität in Magdeburg war man zuerst sehr skeptisch. Doch machte der Rektor das Fundraising zu seiner Sache. Im Oktober hatte die Hochschule 52 der möglichen 60 Stipendien vergeben. Anders an der Universität in Jena: 2011 wurden nur 18 von 93 möglichen Stipendien vergeben. Das Einwerben des Geldes sei „extrem aufwendig“, heißt es. Eine Mitarbeiterin müsse die Akquise zusätzlich übernehmen. Zudem gebe es in der Region nur wenige Großunternehmen. Wegen der wirtschaftlichen Schwäche sei man benachteiligt.
Leistung statt Bedürftigkeit
Auf wenig Begeisterung stößt das Stipendium im Deutschen Studentenwerk (DSW). Jedes Instrument, das Studenten fördere, sei zwar gut zu heißen, sagt Generalsekretär Achim Meyer auf der Heyde. Doch sei das Deutschland-Stipendium – anders als Bafög – kein Instrument der Breitenförderung. Es gebe keinen Rechtsanspruch auf das Stipendium, und es werde nicht nach Bedürftigkeit, sondern nach Leistung vergeben. Meyer auf der Heyde erwartet, dass vor allem Studenten aus bildungsnahen Elternhäusern profitieren. „Wer Geld braucht, muss arbeiten gehen und kann sich nicht voll auf sein Studium konzentrieren. Dann bringt man weniger gute Leistungen und bekommt kein Deutschland-Stipendium“, erklärt er.
Der DSW-Generalsekretär befürchtet sogar, dass die Bundesregierung wegen des Stipendiums an anderer Stelle gekürzt hat – ausgerechnet beim Bafög. Bisher bekommt das beste Drittel der Bafög-Empfänger einen Teil des Darlehens erlassen. Diese Förderung läuft aber Ende 2012 aus. Von ihr haben in den vergangenen zwei Jahren 30.000 Studenten profitiert. „Das sind viel mehr als die durch das Deutschland-Stipendium Geförderten“, sagt Meyer auf der Heide. (Quelle: F.A.Z.)