Seit über einem Jahr ist die innovative Kampagne „Deutschland rundet auf“ nun deutschlandweit aktiv. Was ist seit Einführung alles passiert, und ist das Aufrunden inzwischen genauso selbstverständlich wie das Trinkgeldgeben? Folgend eine kurze Einschätzung der Kampagne durch Hugo W. Pettendrup und Hendrik Addens.Die Idee
Am 1. März 2012 startete nach dreijähriger Planungsphase die Fundraising-Kampagne „Deutschland rundet auf“. Mit einer aufwendigen und sehr professionellen Marketing-Aktion wurde die Aktion medienwirksam in Deutschland eingeführt. Mit nur zwei Worten – „Aufrunden bitte!“ – kann der Konsument bei angeschlossenen Partnerunternehmen an der Kasse spenden, und zwar maximal 10 Cent. Bei einem Einkaufswert von bspw. 9,93 € werden so mit dem Einverständnis des Kunden 10,00 € abgerechnet, 7 Cent fließen an ein ausgewähltes Projekt.
Dem Gründer, Christian Vater, ist hierbei sehr wichtig, dass die Käufer selbst das Aufrunden veranlassen, d. h. ohne dass die Verkäufer auf diese Möglichkeit explizit hinweisen. Die interessierten Kunden erkennen teilnehmende Unternehmen an einem Sticker, der unter anderem an Eingangstüren und Kassen platziert ist, und spenden mit minimalem Aufwand Kleinstbeträge. Bei 50 Mio. kaufenden Kunden in deutschen Handelsunternehmen kommt auf diese Art und Weise aber eine beträchtliche Summe zusammen: Seit dem Programmstart wurde über 21 Mio. Mal aufgerundet, und es konnte ein Spendeneingang von über 1 Mio. € verzeichnet werden. Drei Projekte für benachteiligte Kinder in Deutschland sind inzwischen ausfinanziert und realisiert. 90 % (276.276 €) des derzeitigen vierten Spendenprojektes sind bereits gesammelt. Der aktuelle Spendenstand des Projektes, sowie die monatlichen Spendeneinnahmen können auf der Homepage der Kampagne nachvollzogen werden.
100 % an Projekte?! Gibt es denn keine Verwaltungskosten?
Die Aktion Deutschland rundet auf steht für die 100 %ige Weitergabe der Spende an das Projekt. Wie ist das bei den offensichtlich hohen Marketing-Aufwendungen und anderen Verwaltungskosten überhaupt möglich, fragt sich der Kunde bzw. Spender? Die Antwort liegt in den Partnergebühren der angeschlossenen Handelsunternehmen. Jedes Unternehmen wendet neben der Schulung seines Personals und der Umstellung des Kassen-/Buchhaltungssystems eine umsatzabhängige Gebühr von mind. 999 € und max. 99.999 € auf. Derzeit gehören 17 renommierte Handelspartner zu den angeschlossenen Unternehmen – zwei weniger als noch vor vier Monaten. Durch diese Gebühren werden nach Angabe von Deutschland rundet auf alle Verwaltungskosten gedeckt. Darüberhinaus haben einige Medien-/Beratungsunternehmen bei der Vermarktung aktiv und pro bono unterstützt.
Die Erklärung zur Deckung der Verwaltungskosten scheint plausibel und könnte bei 21 Mio. Mal Aufrunden auch rechnerisch deckend sein. Verwunderlich ist allerdings, dass es keine Angaben zur Gebührenstaffelung in Prozent des Umsatzes gibt. Es drängt sich hier die Vermutung auf, die Gebühr werde individuell mit den Partnerunternehmen verhandelt.
Hugo W. Pettendrup
Ist die Projektauswahl denn auch unbefangen?
Für die Auswahl eines zu fördernden Projektes wurde mit Active Philanthropy ein dreistufiges Auswahlverfahren entwickelt und etabliert: Zunächst wird anhand der Förderkriterien eine Vorauswahl getroffen. In der zweiten Stufe selektiert ein aus unabhängigen Personen aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Medien bestehendes Experten-Gremium die finalen Spendenprojekten. Bei PHINEO wird diese Auswahl unabhängig geprüft. In der dritten Prozessphase beschließt das Kuratorium die Spendenprojekte, die Förderreihenfolge und die Förderhöhe. Es kann davon ausgegangen werden, dass eine höchstmögliche Objektivität angestrebt wird. Lediglich der erste Schritt, die Vorauswahl, wirkt intransparent und kann für viele Spendenprojekte eine unüberwindbare Hürde darstellen.
Handelspartner und Greenwashing
Die Auswahl der Handelspartner scheint sehr offen gestaltet zu sein, so dass im Prinzip jedes Handelsunternehmen mitmachen kann. Dies führt auf der Kehrseite dazu, dass auch polarisierenden Unternehmen und „Schwarzen Schafen“ eine Plattform geboten wird, sich positiv darzustellen, ohne nachhaltige Ziele zu verfolgen. So sind auch Unternehmen dabei, die hinsichtlich des CSR-Gedankens aus heutiger Sicht in den Kinderschuhen stecken. Verständlich ist der Wunsch, gerade bei der Implementierung der Kampagne möglichst viele Unternehmen zu gewinnen, um erfolgreich und mit möglichst vielen Kassen zu starten; zu Beginn waren es 30.000 Kassen. Allerdings erscheint es empfehlenswert, die Handelspartner nach einer gewissen Frist daraufhin zu überprüfen, ob die Teilnahme auch nachhaltig gewollt und Teil einer glaubhaften CSR-Strategie der Unternehmen oder nur zu Marketing-Zwecken „missbraucht“ wird. Bevor jedoch der „Greenwashing“-Vorwurf erhoben wird, sollte analysiert werden, ob die Teilnahme nicht tatsächlich der erste Schritt zur Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung ist. Auch hier sollte es ein transparentes Auswahlverfahren geben und das Expertenteam involviert werden. Christian Vater möchte allerdings alle Handelsunternehmen in Deutschland überzeugen, ohne eine differenzierte Auswahl vorzunehmen. Nach der Start-Up-Phase könnte sich Deutschland rundet auf nun aber dieser Verantwortung stellen und Kriterien zur Teilnahme festlegen.
Gesellschaftlich-moralischer Druck bei Spender?
Bei der Einführung der Aktion wurden schnell einige kritische Stimmen laut, die behaupteten, der Konsument an der Kasse tätige seine Spende nur aufgrund eines gesellschaftlich-moralischen Drucks. Durch Nicht-Spenden käme er in ein moralisches Dilemma, da andere „Aufrunder“ in der Warteschlange die Spende öffentlich miterlebten – möglicherweise ähnlich wie bei der Kollekte in der Kirche. Um einer vermeintlich „peinlichen Situation“ zu entgehen, werde, dem Vorwurf zu Folge, die Spende getätigt. Jürgen Schupp, deutscher Sozialwissenschaftler, hat im Auftrag des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung das Spendenverhalten der Deutschen untersucht und erklärt hierzu, dass ein sozialer Druck zu spenden nur dann entstehen kann, wenn die Mehrheit der Menschen spendet. Da das Spenden aber in vielen Situationen noch nicht zur Selbstverständlichkeit geworden sei, sei es sehr unwahrscheinlich, dass ein so großer Druck entstehe, dass man nur spende um nicht aufzufallen und zum Außenseiter zu werden. Außerdem könne auch das Gegenteil passieren: Man spendet nicht. Und zwar um sich bewusst von der Masse abzugrenzen und seine Individualität zu bewahren. Folglich wird der sogenannte „soziale Druck“ abgedämpft bzw. durch individuelles Verhalten eigenverantwortlich gesteuert.
Hendrik Addens
Fazit: Innovatives Micro-Fundraising oder alter Wein in neuen Schläuchen?
Die Spendenaktion Deutschland rundet auf zeichnet sich durch professionelle Umsetzung mit klarem rotem Faden aus. Diese Form von Kleinspendensammlung ist ein Novum auf dem bundesweiten Spendenmarkt. Im Rahmen von smarten Online-Fundraising-Tools (bspw. elefunds) gibt es zwar schon ähnliche Ansätze und Möglichkeiten, Spenden bei webbasierten Einkäufen zu tätigen, aufzurunden und an angeschlossene Organisationen zu verteilen, aber diese unterscheiden sich in vielen Dingen zu Deutschland rundet auf: Hier ist der Aufwand unter Umständen viel geringer und durch die bloße Nennung von zwei Worten schnell umgesetzt. Diese Form bringt das Spenden in den Alltag und fördert selbstverständliches Geben. Zugleich spricht sie alle gesellschaftlichen Schichten an, auch finanziell benachteiligte Gruppen. Allerdings wird im Gegensatz zu anderen Fundraising-Formen keine zielgerichtete Spende getätigt, da das geförderte Projekt i. d. R. an der Kasse nicht vorgestellt wird. Der Konsument und Spender entscheidet nicht intrinsisch, wohin seine Spende gehen soll, sondern „fügt“ sich dem jeweils aktuellen Spendenprojekt. Insofern ist die Spende weniger eine „Herzensangelegenheit“, sondern vielmehr eine positive Bereitschaft unbürokratisch Unterstützung zu leisten.
Interessant ist die Frage, wie viele der 21 Mio. Aufrunde-Spendern sich tatsächlich regelmäßig über die Aktion bzw. die Projekte informieren. Fakt ist aber, dass die Kampagne gezielt Projekte in Deutschland fördert und ein großflächiges Spendenbewusstsein schafft. Erfreulich wäre, wenn sich noch mehr adäquate Handelspartner fänden, die nachhaltige Ziele verfolgen und die Aktion nicht als verkaufsförderndes Instrument ansehen, so dass benachteiligten Kindern und Jugendlichen in Deutschland weiterhin schnell und unbürokratisch geholfen werden kann.
Zu den Autoren:
Hugo W. Pettendrup ist langjähriger Fundraising- und CSR-Experte und Gründer von HP-FundConsult in Münster und Düsseldorf, www.hp-fundconsult.de.
Hugo W. Pettendrup/Hendrik Addens, HP-FundConsult, Rothenburg 41, 48143 Münster
Der Originalartikel ist zu lesen unter: Fundraising-Echo