Sozialunternehmer sind die neuen Lieblinge der Wirtschaft – sie werden umgarnt, gefördert und gefeiert. Zu Recht? Ende August fand in Berlin zum sechsten Mal der Vision Summit statt, das alljährliche Stelldichein der deutschen Sozialunternehmer und ihrer Förderer. Sie diskutierten wieder einmal über die Probleme der Gesellschaft, sie sprachen sich gegenseitig Mut zu. Und wieder einmal reichte es ihnen nicht, nur zu reden. Stattdessen wollten sie Lösungen finden.
Es ist ein glanzvolles Ereignis mit viel Prominenz, „eine Bühne für die ganze Szene“, wie Peter Spiegel sagt. Er ist der Leiter des Genisis Institute, das mitten in Berlin im Palais am Festungsgraben untergebracht ist. Es sei 2008 als das weltweit erste Institut zur Erforschung und Förderung von Social Business gegründet worden, sagt der 60-Jährige und ergänzt: „Meine Rolle in der Szene ist die des völlig verrückten Vordenkers.“
Er hat zwei feste Mitarbeiter. „Wir stellen die Infrastruktur zur Verfügung, die Sozialinnovatoren brauchen, um in die Gesellschaft hineinwirken zu können.“ Der Vision Summit sei das wichtigste Instrument.
Als die Mächtigsten der Welt 2007 in Heiligendamm ihren G8-Gipfel abhielten, wurden auf einer Alternativveranstaltung in Berlin Konzepte für die Lösung globaler Probleme wie Armut, Klimawandel und Ressourcenknappheit vorgestellt. Die Konferenz, die Spiegel organisiert hatte, war der erste Vision Summit – mit dem damals frisch gekürten Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus als Stargast. „Eine Gründerkonferenz war das“, sagt Spiegel, nicht wenige der Teilnehmer seien Sozialunternehmer geworden. „Exakt das wollte ich.“
Eine Privatschule für Flüchtlingskinder aus aller Welt, die Ausbildung blinder Frauen zu Krebsfrühdiagnostikerinnen, Einzel-Coachings für Hauptschüler – die Geschäftsmodelle sind vielfältig. In Deutschland gibt es inzwischen mehrere Hundert solcher Firmen. Zusammen bilden sie eine selbstbewusste Szene. „Wer löst die gesellschaftlichen Probleme in unserem Land?“, fragt ein im vergangenen Jahr vom Genisis Institute herausgegebenes Buch über „25 Ideen, selbst die Zukunft zu gestalten“. Die Antwort lautet: „Die Zeit, als wir vor allem auf den Staat und auf technische Innovationen setzen konnten, ist vorbei. Die Hoffnung verlagert sich auf eine grundlegend neue soziale Bewegung von sozialen Innovatoren.“
Können sie diese Hoffnung erfüllen? Werden sie ihrem Anspruch gerecht? Welchen Nutzen stiften sie?
Diese Geschichte ist der Versuch einer Annäherung an die Gründer und ihre Förderer. Sie wird zeigen: Sozialunternehmer sind mit großem Engagement bei der Sache, sie erzielen aber oft nicht die erhoffte Wirkung. Das liegt zum Teil an ihrem Selbstverständnis, zum Teil an den Motiven ihrer Förderer. Zudem lassen viele Sozialunternehmer genau das vermissen, was sie in besonderer Weise für sich beanspruchen: unternehmerisches Denken.
Die Bewegung
Die Idee, karitatives Engagement und Ökonomie zu verbinden, ist nicht neu. Die internationale Non-Profit-Organisation Ashoka („Heimat der Changemaker“) macht sich seit 30 Jahren für Sozialunternehmer stark. Erst seit Muhammad Yunus, für den Peter Spiegel zwei Deutschlandreisen inklusive Fernsehauftritte bei Sabine Christiansen und Maybrit Illner organisierte, berühmt wurde, herrscht hierzulande auch Aufbruchstimmung. Gut die Hälfte der deutschen Sozialunternehmen ist jünger als neun Jahre.
Um sie ist ein Hype entstanden, von dem auch die Wissenschaft nicht unberührt bleibt. Mehrere Universitäten richteten Lehrstühle für Social Entrepreneurship ein, und die von der Duisburger Kaufmannsfamilie Schmidt gegründete Stiftung Mercator finanzierte zur Erforschung der Bewegung einen Verbund mit rund 25 Wissenschaftlern aus ganz Deutschland.
Auch die Politik ließ sich anstecken. Die EU plant ab 2014, jeweils zwischen 5 und 15 Millionen Euro in Fonds für Sozialunternehmen zu investieren. Und die Bundesregierung stockt bereits über die Förderbank KfW private Investitionen zu solchen Zwecken auf.
„Sozialunternehmer“, heißt es in einem im Herbst 2012 veröffentlichten Papier des Bundesfamilienministeriums, „sind von besonderer Bedeutung, weil sie aus einem gesellschaftlichen Antrieb heraus mit unternehmerischen Mitteln dazu beitragen, dass für unser Gemeinwesen relevante Herausforderungen wirksam bearbeitet und einer Lösung zugeführt werden.“
Umweltschutz, Entwicklungshilfe, Bildung, Arbeitsmarktintegration oder Familienarbeit – die neuen Hoffnungsträger schrecken vor nichts zurück. Mit breiter Brust stürzen sie sich auf Probleme, die der Staat und die etablierten Organisationen des Sozialsektors nicht bewältigen.
Das Soziale hat derart Konjunktur, dass man leicht den Überblick verliert: Non-Profit-Organisationen, Corporate Social Responsibility (CSR) und jetzt auch noch Sozialunternehmer. Tatsächlich sind die Grenzen oft fließend.
Von CSR und anderen Aktivitäten profitorientierter Unternehmen unterscheiden sich Sozialunternehmen darin, dass der gesellschaftliche Wandel ihr primäres Ziel ist; ja, dass sie zu diesem Zweck gegründet werden. Von Non-Profit-Organisationen heben sie sich hingegen nicht in der Zielsetzung ab, sondern in der Wahl der Mittel. Sozialunternehmer, heißt es im Buch des Genisis Institute, bedienen sich der Mechanismen des Marktes und seiner Gesetze. „Sie heben den bisherigen Dualismus auf von Ökonomie und Sozialem.“
Das Kalkül dabei ist, dass die besseren Ideen entstehen und die Ressourcen effizienter eingesetzt werden, wenn soziales Handeln unternehmerischem Denken unterliegt; von der Entwicklungshilfe weiß man zudem, dass Geschenke Abhängigkeiten erzeugen und von den Empfängern nicht so gewürdigt werden wie Hilfen, für die sie eine Gegenleistung erbringen müssen.
Der Nobelpreisträger Yunus gründete deshalb die Grameen Bank, um die Armut in Bangladesch zu bekämpfen. Mikrokredite sollen Bedürftigen die Chance geben, sich etwas aufzubauen. Die Bank lebt von den – vergleichsweise niedrigen – Zinsen, die die Kreditnehmer zur Verbesserung ihrer Lebenssituation zu zahlen bereit sind. Social Business par excellence.
Yunus’ deutsche Nacheiferer sind laut Erhebung des Forschungsverbunds zumeist Akademiker, Menschen, die etwas bewegen wollen. Erstaunlich ist jedoch, was die Daten über die Finanzlage der Unternehmen verraten: Nur durchschnittlich 21 Prozent der Einnahmen stammen aus dem Geschäft mit der eigentlichen Zielgruppe. Hinzu kommt, dass sie kaum Wachstum aufweisen. Die Hälfte der Unternehmen nimmt im Jahr weniger als 250 000 Euro ein, 37,5 Prozent sogar weniger als 100 000 Euro. Trotz hoher Fixkosten überleben sie – in einer vom Wettbewerb verschonten Nische. Leistungsentgelte und Zuschüsse vom Staat, Stiftungsgelder, Spenden und Sponsoring sichern ihr Auskommen. Wo bleibt da das Unternehmerische, auf das die Gründer so stolz sind?
In einem sozialstaatlich geprägten Land wie Deutschland sei der Spielraum für sich selbst tragende Geschäftsmodelle in diesem Sektor stark begrenzt, sagt Stephan A. Jansen, Direktor des Civil Society Center an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen und Koordinator des Mercator-Forschungsverbunds. Ob Bildung, Integration oder Armutsbekämpfung – all das sind hierzulande klassische Aufgaben des Staates und der etablierten Wohlfahrtsverbände.
Dennoch gibt es einige Unternehmen, die sich weitgehend selbst tragen. Die Pegasus GmbH etwa, die von ihren Kunden für handwerklichen Service und viele andere Dienstleistungen wie Catering und Coaching bezahlt wird. (1) Gegründet wurde sie zu dem Zweck, psychisch Kranken und körperlich Behinderten den Weg in den ersten Arbeitsmarkt zu ebnen. Oder der Dialog im Dunkeln: Was 1988 mit Ausstellungen, bei denen Sehende in stockdunklen Räumen die Welt der Blinden kennenlernen, begann, hat sich inzwischen zu einem Social Franchise Unternehmen entwickelt, das Seminare, Trainings, Events und Dinner in the Dark veranstaltet, in 38 Ländern zu Gast war, etwa 8000 Nichtsehende zeitweise beschäftigt und viele an Arbeitgeber weitervermittelt hat. (2)
Beides sind Sozialunternehmen im Sinne von Yunus. Wie aber könnte ein funktionierendes Geschäftsmodell etwa in der schulischen Bildung aussehen? Sie ist eines der beliebtesten Tätigkeitsfelder deutscher Sozialunternehmer. Jansen macht das Unternehmerische weniger an der Erwirtschaftung eigener Einnahmen fest als an der Entwicklung neuer Lösungen: „Idealerweise fungieren Sozialunternehmen als eine Art dezentrale Forschungs- und Entwicklungsabteilung der Gesellschaft.“
Ob die Idee eines Sozialunternehmers marktfähig sei, messe sich daran, inwieweit sie Modellcharakter auch für andere Anbieter habe. „Sozialunternehmer, die soziale Innovationen für die Lösung von Problemen aufweisen, sehen ihren Erfolg in der Nachahmung ihrer Ideen.“ Um diese zu beschleunigen, sollten sie den Kontakt zu politischen Akteuren oder die Kooperation mit den großen Wohlfahrtsverbänden suchen.
Denn genau darin unterschieden sie sich von profitorientierten Unternehmern, sagt Jansen und formuliert das Ideal: „Sie streben nicht nach Selbsterhalt. Es geht ihnen nicht um das Wachstum der eigenen Organisation, sondern vor allem um das Wachstum ihrer Idee. Durchaus mit dem Ziel, dass sie selbst irgendwann überflüssig werden.“
Die Innovatoren
Das Sozialunternehmen Teach First, dessen Zentrale in Berlin-Kreuzberg liegt, rekrutiert herausragende Hochschulabsolventen. Als sogenannte Fellows sollen sie zwei Jahre lang überforderte Lehrer unterstützen, sie sollen Vorbild für Schüler aus der Unterschicht sein und ihnen zeigen, dass sie selbst hochgesteckte Ziele erreichen können.
Bevor es losgeht, werden die Fellows drei Monate lang ausgebildet. Schulpraktikum, Online-Unterweisungen und eine sechswöchige Sommerakademie mit Kursen in Pädagogik, Didaktik und Lernpsychologie – Teach First scheut weder Kosten noch Mühen, um die Jungakademiker fit zu machen für ihren Einsatz.
Zwei Absolventen der privaten Hertie School of Governance in Berlin haben das Unternehmen 2008 gegründet. Vorbild war die gleichnamige Organisation in den USA, wo Teach-First-Fellows große Akzeptanz erfahren und wie gewöhnliche Pädagogen eingesetzt werden. In Deutschland ist das politisch schwer durchsetzbar: Die Lehrergewerkschaften würden den Aufstand proben. Die Fellows geben daher vorwiegend Förderunterricht in Deutsch, Mathematik und Englisch und bieten Nachmittags-AGs für Sport und Kultur an.
Eine externe Evaluierung bescheinigt ihnen, „in erster Linie sozial motiviert“ und in den Schulen „allseitig akzeptiert“ zu sein. Aber helfen sie auch, das Problem der Chancenungleichheit zu lösen? Genau das ist laut eigenem Jahresbericht der Anspruch. „Es ist die Aufgabe der Schule, Heranwachsende auf ein selbstbestimmtes Leben als mündige und verantwortungsvolle Persönlichkeiten vorzubereiten.“ Gerade in sogenannten sozialen Brennpunkten würden Schulen diesem Auftrag nicht gerecht; vielmehr zementierten sie oftmals sozioökonomische Differenzen über Generationen hinweg. „Wir von Teach First Deutschland wollen dazu beitragen, das zu verändern.“
Und wie? Das Konzept deutet darauf hin, dass Teach First Deutschland auf einen neuen Typ Lehrer abzielt. Das aber weist Geschäftsführer Ulf Matysiak, um die politische Brisanz des Themas wissend, schroff zurück. „Wir wollen die Lehrer nicht ersetzen, sondern nur ergänzen.“
Schon lange schlagen Bildungsforscher vor, Lehrer durch Assistenten zu entlasten, die zum Beispiel mit einzelnen Schülern lesen üben. In Finnland und England gibt es solche Helfer. Mitmachen darf, wer über eine gute Schulausbildung und ehrenamtliche Erfahrung verfügt. Wieso propagiert Teach First Deutschland nicht ein ähnliches, pragmatisches Modell und hängt stattdessen die Latte für die Fellows so hoch? Wieso nimmt man nur jeden zehnten Bewerber?
118 Fellows sind derzeit an 100 Schulen im Einsatz. Einer davon etwa an der Ganztagsstadtteilschule Mümmelmannsberg in Hamburg. 1200 Schüler, 70 Prozent davon ausländischer Herkunft. Was soll der Fellow da bewirken? Und warum ist er so allein auf weiter Flur?
Es sei nicht das Ziel, so viele Fellows wie möglich an die Schulen zu bringen, sagt Matysiak. „Wir wollen Menschen, die in Zukunft in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen tätig sein werden, für das Problem der Chancenungleichheit sensibilisieren.“
Wenn die Fellows erst an wichtigen Schaltstellen in Politik und Wirtschaft sitzen, so das Kalkül, werden sie sich an ihren Schuleinsatz erinnern und als Anwälte der Benachteiligten für den nötigen Wandel im Bildungssystem sorgen.
Das ist es also, was Teach First Deutschland unter sozialer Innovation versteht: die vage Hoffnung auf eine Revolution in ferner Zukunft – ein für die Szene durchaus typischer Glaube. Viele Sozialunternehmen verfolgen Ansätze, die nicht erkennen lassen, was an ihnen neu und vor allem besser sein soll als das, was es schon gibt.
Das Network For Teaching Entrepreneurship (NFTE) zum Beispiel, ebenso wie Teach First ein aus den USA importiertes Sozialunternehmen, bildet in dreitägigen Workshops Lehrer fort, die dann ihre Schüler anleiten, Ideen für Unternehmensgründungen auszuhecken und Businesspläne zu erstellen – auf spielerische Weise, versteht sich. (3)
Zwei Experten des Wuppertaler Instituts für Gründungs- und Innovationsforschung haben das Programm untersucht. Sie loben die „Konzentration auf eine vernachlässigte Zielgruppe mit hohem Problempotenzial und der Gefahr erheblicher gesellschaftlicher Folgekosten“ und bescheinigen NFTE „eine führende Rolle in der Entrepreneurship-Erziehung an den Schulen“. Durch das Programm würden Selbst- und Sozialkompetenzen gestärkt und die Entwicklung unternehmerischer Persönlichkeiten gefördert. Eine Studie, die den nach Zauberei klingenden Effekt belegt, können die unabhängigen Gutachter allerdings nicht vorlegen.
In Deutschland entscheidet die Herkunft über den Schulerfolg. Die Autoren des Bildungsberichts 2012 sprechen von einer Schicht der Chancenlosen. Gemeint sind Kinder und Jugendliche, die nicht richtig lesen und schreiben können und letztlich die Schule oder ihre Lehre abbrechen. Hierzulande haben 1,2 Millionen Menschen keinerlei Abschluss und kaum Perspektiven.
Warum Kinder mit schlechteren Startbedingungen den Rückstand nur selten aufholen, hat viele Gründe. Die meisten Sozialunternehmen begegnen dem Problem mit zusätzlichen Bildungsangeboten. Analysiert, ob diese der Zielgruppe weiterhelfen, haben sie in aller Regel nicht. Besser als gar nichts tun, könnte man sagen. Aber stimmt das?
Detlef Aßmann ist Schulleiter an der bereits erwähnten Ganztagsstadtteilschule Mümmelmannsberg. Permanent, erzählt er, meldeten sich bei ihm Initiativen, die seiner Schule helfen wollten – etwa mit Musizier-, Sport-, Sprachförderungs-, Nachhilfe-, Wir-spielen-Unternehmer- und Klassenraumgestaltungsprojekten. Wird Schule dadurch besser? „Nein“, sagt Aßmann, der in dem als Getto verschrienen Viertel einen Ort der Hoffnung geschaffen hat. Immerhin 25 Prozent seiner Schüler machen Abitur, nur wenige brechen ohne Abschluss ab. Der »Spiegel« nannte die Schule einen „Ruhepol im Stadtteil“.
Schule, sagt Aßmann, spiegle die soziale Spaltung in der Gesellschaft wider, einfache Lösungen gebe es nicht. Vielmehr gelte es, den Schülern jeden Tag respektvollen Umgang vorzuleben und ihnen Mut zu machen. „Voraussetzung dafür ist ein motiviertes und von Zusammenhalt geprägtes Lehrerkollegium.“ Wenn sie inhaltlich und charakterlich ins Konzept passten, könne es mitunter nützlich sein, Externe wie die Teach First Fellows mit ins Boot zu holen. Zu viele dürften es aber nicht sein, weil man sonst Parallelstrukturen aufbaue, die dem gebotenen Zusammenhalt zuwiderliefen. Und: „Der Einsatz von externen Kräften darf nicht darin münden, dass Schulleitung und Lehrkörper ihre Verantwortung an Dritte delegieren.“
Ein Kernproblem von Sozialunternehmen ist, dass sie lediglich Symptome bekämpfen. Das gilt auch für das 2009 von Studenten der Zeppelin Universität gegründete Sozialunternehmen Rock your Life. Es mobilisiert Studenten, die ehrenamtlich Hauptschüler und Schulabbrecher zwei Jahre lang als Mentoren betreuen. Abgesehen von der Frage, ob das den Jugendlichen etwas bringt, ist es nur ein kleiner Teil der perspektivlosen Schüler, die in den Genuss der Dienstleistung kommen. Und das, obwohl Rock your Life viel professioneller als die meisten anderen Sozialunternehmen das Wachstum seines Ansatzes über ein Franchise-System vorantreibt.
An 30 Standorten sind inzwischen 2000 studentische Coaches im Einsatz. Ihnen stehen jedoch mindestens 50 000 Jugendliche gegenüber, die jedes Jahr ohne Abschluss von der Schule gehen. Hauptschüler, denen eine intensive Betreuung guttäte, gibt es noch weitaus mehr. Das beschränkte Hilfsangebot ist ein Problem. Der Forschungskoordinator Jansen sagt: „Sozialunternehmen, die für sich beanspruchen, quasiöffentliche Güter zur Linderung sozialer Probleme bereitzustellen, die Staat, Markt oder andere zivilgesellschaftliche Akteure nicht bereitstellen, müssen auf eine Durchdringung des Marktes hinarbeiten.“ Andernfalls würden jene Menschen diskriminiert, die keine Chance haben, die Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Ein guter Grund, warum Sozialunternehmen sich um Unterstützung durch die Politik und um Zusammenarbeit mit den großen, staatlich geförderten Sozialverbänden kümmern sollten. Doch das tun die wenigsten. Die Erhebungen des Mercator-Forschungsverbunds zeigen, dass Sozialunternehmen nicht sehr aufgeschlossen sind gegenüber Kooperationen oder Fusionen. „Ihr Selbstverständnis gleicht dem von Familienunternehmern“, so Stephan Jansen. „In Sorge um den eigenen Einfluss stehen sie externen Wachstumsstrategien skeptisch gegenüber.“
Ein Beispiel ist Murat Vural. (4) In Deutschland geboren, ging Vural elfjährig mit seinen Eltern zurück in die Türkei. Dort bekam er ein Stipendium für ein naturwissenschaftliches Internat. Mit 16 kehrte er zurück nach Deutschland – und wurde auf eine Hauptschule in Herne geschickt. Vural machte den besten Abschluss der Klasse, wechselte aufs Gymnasium, erlangte die Hochschulreife und studierte Elektro- und Informationstechnik. Während seiner Promotion beschloss er, Kindern ausländischer Herkunft zu helfen. 2006 wurde er Fellow bei Ashoka, bekam Management-Beratung und juristische Unterstützung. Das Ergebnis ist das in Castrop-Rauxel ansässige Chancenwerk.
Das Sozialunternehmen organisiert bundesweit Nachhilfe – vor allem dort, wo viele Kinder leben, die zu Hause kein Deutsch sprechen. Ein Schneeballsystem, das an den Schulen installiert wird, sorgt für eine Art der Selbsthilfe. Vom Chancenwerk bezahlte Studenten geben Oberstufenschülern kostenlos Förderunterricht. Im Gegenzug helfen die älteren Schüler den Kindern aus den unteren Klassen bei den Hausaufgaben. Die jüngeren Schüler zahlen für 16 Schulstunden Nachhilfe monatlich zehn Euro.
So smart dieses Modell auch erscheint, seine Wirkung ist begrenzt. Nach sieben Jahren ist Vurals Schneeballsystem nun an bundesweit 34 Schulen installiert. Gerade einmal 1700 Schüler nehmen daran teil – nur solche natürlich, deren Eltern bereit und in der Lage sind, den Monatsbeitrag zu leisten. Eine Fusion mit einem großen Sozialverband kommt für Vural nicht infrage. Er bevorzugt den Ausbau auf eigene Faust – „der Qualität wegen“. Für ihn heißt das: Studenten anheuern, anlernen, Kultusministerien, Schulleiter und Eltern überzeugen, neue Standorte aufbauen. Vural lässt sich davon nicht abschrecken. Hier zeigt es sich, das Familienunternehmern ähnliche Selbstverständnis, das Jansen kritisiert. Viele Sozialunternehmer stre- ben eben nicht nach Wachstum der eigenen Idee, sondern dem der eigenen Organisation – „mit Hang zur Überforderung“.
Ein auf Marktprinzipien basierendes Geschäftsmodell hat kaum eines der Sozialunternehmen im Bildungssektor. Stattdessen sind sie auf Spenden von Firmen und Stiftungen angewiesen. Vural hat insgesamt 18 solcher Geldgeber, die 80 Prozent des Jahresbudgets von 800 000 Euro finanzieren. Teach First Deutschland hängt fast vollständig von Spenden ab. Das Budget beträgt laut Jahresbericht von 2012 rund zwei Millionen Euro. Nicht darin enthalten sind die von der öffentlichen Hand gezahlten Fellow-Gehälter von 27 000 Euro pro Person und Jahr. Sieben Haupt- und etliche Nebenförderer unterstützen das Projekt: Firmen wie Deutsche Post, Lanxess, Haniel, Siemens und Lufthansa, dazu diverse Stiftungen und Privatspender. An Geld zu kommen ist für Sozialunternehmen nicht so schwer. Das aber ist Teil ihres Problems, wie der Blick auf die Finanziers zeigt.
Die Förderer
Die Art der Finanzierung entscheidet über Wachstumsdynamik und Innovationsleistung, fanden die Wissenschaftler des Mercator-Verbunds heraus. Die größten Sozialunternehmen, etwa private Einrichtungen in der Drogenhilfe, die oft seit Jahrzehnten bestehen, beziehen ihre Einnahmen primär vom Staat. Die innovativsten Firmen erzielen Umsätze mit ihrer Zielgruppe. Sie kommen meist mit völlig neuen Ansätzen auf den Markt. Beide Einkommensarten erlauben Wachstum – was sich auch darin äußert, dass viele der Unternehmen zusätzlich Kredite aufnehmen.
Ganz anders die vielen kleinen Start-ups der vergangenen Jahre. Von Fremdkapital lassen sie lieber die Finger. Stattdessen setzen sie auf Geld, das sie nicht zurückzahlen müssen: Spenden und Stiftungsgelder. Doch das scheint die Verliererwährung zu sein. „Spenden und Stiftungsgelder sind mit hohem Aufwand verbunden, nicht planbar und schließen Aufwendungen für die Organisationsentwicklung aus“, sagt Wolfgang Spiess-Knafl. Der Wissenschaftler aus dem Mercator-Verbund hat die Finanzierung von Sozialunternehmen erforscht.
Nicht nur das Fundraising ist aufwendig: Firmen und Stiftungen fordern für ihre Gaben zeitraubende Gegenleistungen. Zudem beeinflussen sie die Strategie der Sozialunternehmen. „Strategy follows money“ wird dieses Prinzip in der Szene genannt, das sich auch bei Teach First Deutschland zeigt.
Die in Gaiberg bei Heidelberg ansässige Manfred Lautenschläger-Stiftung unterstützt den Ausbau des Sozialunternehmens – bevorzugt in der eigenen Gegend: der Metropolregion Rhein-Neckar. Der Spezialchemiekonzern Lanxess hat jüngst die Partnerschaft mit Teach First Deutschland um drei Jahre verlängert. Für die Zeit von September 2010 bis August 2013 spendete der Konzern bereits 600 000 Euro. Das Geld sollte vor allem dafür ausgegeben werden, Hochschulabsolventen aus den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) als Fellows zu gewinnen und sie an Schulen in Nordrhein-Westfalen einzusetzen. Dort nämlich, heißt es in der Pressemitteilung des Konzerns, „betreibt Lanxess sechs seiner insgesamt neun deutschen Produktionsstandorte“.
Als ein wesentlicher Bestandteil der Partnerschaft sei vorgesehen, „dass Lanxess-Führungskräfte den Fellows als Mentoren zur Verfügung stehen“. Welches Interesse dahintersteckt, ist nicht schwer zu erraten. Die hoch qualifizierten Fellows sind begehrt. Manche Förderer wie die Deutsche Post und McKinsey umwerben sie mit der „Teach first, join later“-Option: ein Jobangebot für die Zeit nach dem Schuleinsatz.
Die Förderer nehmen also Einfluss auf das Geschäft der Sozialunternehmen. Vor allem halten sie diese von ihrer eigentlichen Arbeit ab. Werte-Workshops, Rekrutierungsmessen, Zukunftskonferenzen oder Nachhaltigkeitstage – es gibt unzählige Gelegenheiten, bei denen sich die Stiftungen und CSR-Abteilungen gern Seite an Seite mit ihren Zöglingen präsentieren. Sozialunternehmer sind im wahrsten Sinne des Wortes Vorzeige-Unternehmer.
Manche wissen das für sich zu nutzen. „Ziehen Sie die Blicke auf sich, indem Sie mit Teach First Deutschland Ihren Stand auf Absolventenmessen teilen“ – so versucht das Unternehmen auf der eigenen Homepage potenzielle Förderer zu ködern. Klarer kann es nicht zum Ausdruck kommen: Die Finanziers werden zur Zielgruppe der von ihnen abhängigen Unternehmen.
Bedenkt man, dass diese nicht selten ein bis zwei Dutzend Förderer haben, die alle individuell bespaßt werden wollen, bekommt man eine Vorstellung davon, womit Sozialunternehmen ihre Zeit verbringen: Zu 40 bis 60 Prozent geht sie für das Management der Förderer drauf, schätzt ein gut vernetzter Gründer, der lieber anonym bleiben will.
In der Szene sieht man das zunehmend kritisch. Die Unterstützer machen sich gegenseitig Vorwürfe, Desillusionierung macht sich breit. Die Finanziers müssten mit Blick auf das gesellschaftliche Ziel ihre Eigeninteressen unterordnen und besser zusammenarbeiten, sonst könnte die Euphorie um die Sozialunternehmen abflauen, sorgt sich Felix Oldenburg, Europachef von Ashoka. Ihm schweben Agenturen vor, die staatliche und private Geldgeber an einen Tisch bringen und für Sozialunternehmen die Mittel bündeln.
Mark Speich, Geschäftsführer der in der Szene sehr aktiven Vodafone Stiftung Deutschland, wettert hingegen gegen Organisationen, die wie Ashoka die Unternehmerpersönlichkeit in den Mittelpunkt ihrer Förderung stellen: „Der Kraftakt Einzelner reicht nicht aus, um gesellschaftliche Innovationen wirkungsvoll in Anwendung zu bringen. Wir brauchen mehr Kooperationen zwischen den Unternehmern, den etablierten Sozialverbänden und der Politik.“
Michel Aloui ist Gründer des Social Lab, eines Gründer-zentrums, das in Köln verschiedene Sozialunternehmer aus dem Bildungssektor zur gegenseitigen Befeuerung zusammenbringt. Aloui wollte von der frühkindlichen Förderung bis zur Chancenverbesserung arbeitsloser Jugendlicher alle Themen angehen. Er trieb Geldgeber auf, rührte die Werbetrommel. Heute sagt er: „Es mangelt an wirklichen Innovationen und nachhaltigen Geschäftsmodellen.“
Aufgeben will er aber nicht. Stattdessen hält er Ausschau nach Projekten, die wirklich etwas verändern. Die ins Bildungssystem eingreifen, um es zu verbessern. „Solche Projekte sind äußerst rar“, sagt Aloui. Eines, das er besonders schätzt, ist Apeiros in Wuppertal.
Dessen Gründer Stefan Schwall war viele Jahre Lehrer, dann Leiter eines Kinderheimes. Jetzt kümmert er sich im Auftrag der Stadt Wuppertal um Schulverweigerer. (5) Schätzungen gehen bundesweit von bis zu 300 000 aus. Schwall analysierte zunächst das Problem: Warum schwänzen Jugendliche überhaupt die Schule? Er identifizierte neun Verweigerer-Typen, entwickelte ein Diagnose-Instrument sowie Verfahren, die sie in die Lage versetzen sollten, wieder Verantwortung für sich zu übernehmen. Das dauerte Jahre. Doch auch hier blieb Schwall nicht stehen. Er wollte den Hebel früher ansetzen. Ihm missfiel, dass in Deutschland zwar Schulpflicht herrscht, diese aber nicht durchgesetzt wird. An fünf Wuppertaler Schulen erprobte er, was passiert, wenn man die bestehenden Gesetze einfach mal ernst nimmt.
Gespräch mit dem Schüler, Vorladung der Eltern, Hausbesuch, Bußgeldanmahnung, Bußgeldvollstreckung, Intervention des Jugendamts, Entzug des Erziehungsrechts – an mög-lichen Maßnahmen mangelte es nicht. „Sie wurden nur nie ergriffen.“ An den Versuchsschulen übernahmen das nun Schwall und seine Leute. Sah er, dass eine Familie Unterstützung benötigte, wandte er sich an die Jugendhilfe. Wenn die sich nicht zuständig fühlte, klagte er die Hilfe vor dem Familiengericht ein. Schwalls Innovation heißt: Konsequenz. Sie hatte durchschlagenden Erfolg. Um 90 Prozent reduzierte er die Fehlstunden an den Testschulen.
Stefan Schwall hat das Projekt inzwischen so standardisiert, dass Schulen es bundesweit umsetzen könnten. Eine Innovationsleistung, wie sie in der Szene der Sozialunternehmen selten vorkommt.
Der Summit-Gründer Peter Spiegel sieht das anders. „In diesem Jahr“, sagt er, „sind wir so weit, dass die Bildungsinnovatoren als große gesellschaftliche Bewegung wahrgenommen werden.“ Das Versicherungsunternehmen Ergo Direkt soll dabei helfen. 400 000 Euro kostet die Organisation des Vision Summit. Ergo Direkt steuert, wie schon vergangenes Jahr, den Löwenanteil bei. Als Gegenleistung darf Unternehmenschef Peter Endres als Co-Moderator mit auf der Bühne stehen, wenn die besten Sozialunternehmer mit den Vision Awards ausgezeichnet werden.
Auch das ist Ausdruck des Pakts zwischen der Ökonomie und der neuen Szene von Sozialinnovatoren. Die Frage ist allerdings, wem er nützt. —(Artikel: Ausgabe 09/2013 brand eins)